Offener Brief an Kind + Kegel

Stillen oder Nicht-Stillen, das ist hier die Frage

Mit Freude lasen wir, vom EINFACH ELTERN Dresden-Team, den Artikel zum Stillen in der Aprilausgabe des Kind + Kegel Babymagazins (S. 6 bis 9) und waren sehr begeistert davon, wie ausführlich die Vorteile des Stillens beschrieben werden. Doch dann stießen wir auf den Abschnitt “Was spricht für das Nicht-Stillen?”, der uns nachdenklich stimmte. Beim Lesen des Textes kamen uns immer mehr Fragen, so zum Beispiel: Was löst dieser Text bei werdenden oder frisch gebackenen Müttern aus? Welche Ängste bekommen sie, wenn sie diesen Artikel lesen? Welcher Eindruck entsteht bei ihnen bezüglich des Stillens?

Grundsätzlich sind wir für die Wahlfreiheit jeder Mutter. Jeder Frau sollte selbstbestimmt entscheiden können, ob sie stillen möchte oder nicht. Die Voraussetzung für diese Entscheidung ist jedoch eine gute Aufklärung. Dazu gehört auch die Tatsache, dass Stillen im gesamten ersten Lebensjahr die natürliche und beste Ernährung für ein Baby ist. Auch während der Beikosteinführung bleibt Muttermilch das Grundnahrungsmittel.

Keine Mutter sollte verurteilt werden, wenn sie nicht stillen kann oder sich bewusst gegen das Stillen entscheidet. Aber es sollten auch keine falschen Anreize gesetzt werden.

 

 

Wir möchten unsere Gedanken zum Artikel in der Kind + Kegel etwas genauer ausführen:

Als Vorteile des Fütterns mit der Flasche werden folgende Punkte aufgezählt:

Trinkmenge

Durch die Ernährung mit künstlicher Säuglingsnahrung soll eine genauere Kontrolle der Trinkmenge ermöglicht werden. Betrachten wir die Tatsache, dass eine Mama beim Stillen auch keine Kontrolle über die Trinkmenge hat, dann wird eigentlich schnell klar, dass solch eine Kontrolle überhaupt nicht notwendig und “naturgemäß” ist. Stillende Mütter müssen Vertrauen in ihr Baby haben, dass es sich das holt, was es braucht. Was ist, wenn das Baby mal nicht die übliche Menge trinkt? Muss ich mir als Mama dann gleich Gedanken machen? Nein. Jedes Kind hat einen anderen Bedarf, eine andere Verdauung und unterschiedlich großen Hunger, je nach Tagesform, Entwicklungsstand und Situation. Wir Erwachsenen essen auch nicht jeden Tag die gleiche Menge.

 

Keine Stillprobleme

Die Mama muss keine Angst vor Milchstau & Co. haben. Natürlich hat der Mensch keine Probleme mit Dingen, die er NICHT tut! Wenn ich NICHT Auto fahre, dann werde ich sicher auch KEINE Probleme mit dem Tanken, mit Reparaturen oder Unfällen haben. Aber fahre ich deswegen auch nicht mehr Auto? Nein. Eine funktionierende Stillbeziehung ist etwas sehr wertvolles für Mutter und Kind. Wenn wir den Abschnitt unter dem Punkt “Keine Stillprobleme” lesen, können wir uns vorstellen, dass sich noch unerfahrene Mütter schnell vom Stillen abgeschreckt fühlen. Der Artikel suggeriert, dass eine Frau beim Stillen auf jeden Fall mit einigen Problemen konfrontiert werden wird. Diese Herangehensweise empfinden wir als nicht zielführend. Ein Milchstau oder eine Brustentzündung können mit Unterstützung des Frauenarztes, der Hebamme oder einer Stillberaterin gut behandelt werden und sind in der Regel keine Gründe, sich vom Stillen abbringen zu lassen. Es ist wichtig zu wissen, dass das Stillen keine angeborene, sondern eine erworbene Kompetenz ist. Anders als in den Großfamilien früher haben Mädchen heutzutage viel zu selten die Gelegenheit, Mütter (Schwestern, Tanten, Cousinen etc.) beim Stillen zu beobachten und sich diese Fähigkeit dabei abzuschauen. In unserer heutigen Gesellschaft, die immer mehr zur Isolation der Kleinfamilien neigt, übernehmen Hebammen und Stillberaterinnen diese Aufgabe, indem sie junge Mütter in der ersten Zeit des Stillens unterstützen.

 

Flexibilität

Die Mutter wird entlastet, da auch eine andere Person das Kind füttern kann. Auch diesen Punkt möchten wir nicht unkommentiert stehen lassen. Ist es wirklich besser, gleich von Anfang an gar nicht zu stillen, selbst wenn die Mutter z. B. zeitnah wieder arbeiten möchte? Oder ist es nicht erst recht ein schöner Weg, um die gemeinsame Zeit in Ruhe noch intensiver zu nutzen? Und ist es nicht auch viel wert, dass Dank der Hormonausschüttung beim Stillen sowohl auf Seiten der Mutter als auch des Kindes der Stresspegel gesenkt wird? Auch der Aspekt, dass die Mutter krank werden könnte und das Stillen dann eine zusätzliche Belastung wäre, scheint uns zu kurz gedacht. Muttermilch ist nicht nur für unsere Babys eine unglaubliche Medizin, sondern auch die Mütter profitieren gesundheitlich vom Stillen (Unterstützung der Rückbildung, Senkung des Krebsrisikos). Und was ist im Krankheitsfall unkomplizierter, als das Baby einfach nur an die Brust zu legen und ihm damit gleichzeitig viel Aufmerksamkeit und Nähe zu schenken? Sollte eine Mutter während der Stillzeit ernsthaft erkranken, unterstützt sie ihr Arzt oder ihre Hebamme bei der Auswahl stillverträglicher Medikamente oder, wenn es keine Alternative gibt, dem sanften Abstillen. Aufgrund der Möglichkeit einer Erkrankung das Stillen jedoch von Anfang an zu lassen erscheint uns deutlich übertrieben.

 

Bindungsförderung

Auch bei der Gabe des Fläschchens kann eine gute Bindung aufgebaut werden. Natürlich binden sich unsere Babys an uns, auch ohne Stillen. Und natürlich KANN auch bei der Fläschchengabe ein enger Hautkontakt zustande kommen. Aber in der Realität wird der Hautkontakt vermutlich nie so regelmäßig und innig sein wie beim Stillen. Wer zieht sich schon bei jeder Mahlzeit des Babys nackt aus, um Haut an Haut mit ihm die Zeit des Trinkens zu verbringen? Vor allem wenn man die von Ihnen im Punkt Flexibilität aufgeführten Aspekte betrachtet, erscheint es schwer, eine gleichwertige Situation zu schaffen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Baby im ersten Lebensjahr von den beiden wichtigsten Bezugspersonen gefüttert werden soll. Daher ist es wichtig, achtsam mit dieser scheinbaren Freiheit umzugehen.

 

Qualität der Ersatzmilchprodukte

Dank der qualitativ hochwertigen Ersatzmilch ist es für Mütter, die nicht stillen können oder wollen, heute im Gegensatz zu früher einfach, ihre Babys zu ernähren. Daher ist Ersatzmilch für Babys wirklich wichtig, wenn sie keine Muttermilch bekommen können. Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Ersatzmilch ein künstliches Produkt ist. Muttermilch hingegen ist eine lebende Milch, die sich immer wieder an den Bedürfnissen des Babys ausrichtet, bspw. bei Krankheit, bei Entwicklungsschüben, bei gleichzeitigem Stillen eines Geschwisterchens oder bei starker Hitze. Darüber hinaus passt sich die Muttermilch an den Tag-Nacht-Rhythmus oder den Reifegrad des Babys an (z. B. bei Frühgeborenen). Es wird doch recht schnell klar, dass die Muttermilch weitaus mehr zu bieten hat als Ersatzprodukte.

 

Unabhängigkeit

Die Mutter ist hinsichtlich Genussmitteln und Sexualität scheinbar frei. Über diesen Abschnitt waren wir ganz besonders erschrocken. Ist es nicht grundsätzlich eine Illusion, dass das Leben mit Baby genauso weiter geht wie ohne? Wenn es nicht das Stillen ist, das jungen Eltern diese Tatsache verdeutlicht, so sind es die schlaflosen Nächte oder der ständige Wunsch des Babys nach Nähe und Geborgenheit. Und genau das hat unserer Meinung nach auch seinen Sinn, denn ab jetzt tragen die Eltern nicht mehr nur für sich Verantwortung, sondern auch für einen kleinen Menschen. Ist es in Anbetracht dieser Tatsache richtig, die Mütter zu bestärken, dass sie bei Nicht-Stillen ihren alten Gewohnheiten wieder schneller nachgehen können? Rauchen und Alkoholkonsum der Eltern wirken sich nicht nur beim Stillen negativ auf das Baby aus, sondern können weitreichende negative Folgen für das Kind haben. Nicht zuletzt geht es hier auch um einen verantwortungsvollen Umgang mit einem uns anvertrauten hilfsbedürftigen Lebewesen. Wir können uns nicht vorstellen, dass es Ihre Absicht war Eltern darin zu bestärken, an ihren womöglich ungünstigen Gewohnheiten festzuhalten.

Interessanterweise haben Studien ergeben, dass gestillte Säuglinge von rauchenden Müttern weniger erkranken als nicht gestillte Säuglinge von rauchenden Müttern.

 

Wir vom Team EINFACH ELTERN Dresden möchten nicht mit dem erhobenen Zeigefinger argumentieren. Wir glauben, dass es Ihre Intention war, mit diesem Artikel Mütter zu unterstützen, die nicht stillen können oder wollen. Das finden wir sehr gut, hätten uns zum Thema Nicht-Stillen allerdings mindestens einen Verweis auf die (zum Teil ehrenamtlichen und kostenfreien) Beratungsangebote von Stillberaterinnen gewünscht (z. B. AFS oder LaLecheLiga), die den Müttern u. a. beim Stillen allgemein, bei Stillproblemen oder dem Abstillen mit ihrer ganzen Fachkompetenz zur Seite stehen.

Außerdem ist es aus unserer Sicht gerade in Zeiten der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz des Stillens enorm wichtig, dass Informationsträger wie Ihre Zeitschrift, die viele (werdende) Mütter aber auch Großeltern, Väter, Erzieher und andere, mit dem Thema konfrontierte Personen erreicht, hinsichtlich der natürlichen Ernährung von Babys bestärken, Mut machen und auf Hilfen und Beratungsangebote oder auch vertrauenswürdige Plattformen hinweisen.

 

Natürlich sollen Mütter, die aus anatomischen, gesundheitlichen oder persönlichen Gründen nicht stillen können oder möchten, kein schlechtes Gewissen haben. Selbstverständlich brauchen auch Eltern, die ihrem Baby die Flasche geben Möglichkeiten für Austausch und Beratung. Oberste Priorität sollte aber doch vor allem die Unterstützung und Rückenstärkung der Mutter beim Stillen und ein gutes Stillmanagement haben. Denn nur sehr wenige Mütter können tatsächlich aus rein physischen Gründen nicht stillen. Alle anderen könnten es, nur leider mangelt es sehr oft an Akzeptanz, Zeit, Geduld oder in der Stillberatung geschultem Personal im Zuge der Geburt und in der Zeit des Wochenbetts. Daraus resultiert leider viel zu oft, dass die Mutter bei anfänglichen Schwierigkeiten der Mut verlässt, es weiter zu versuchen. Hartnäckig verbleibende Ammenmärchen und “gut gemeinte Ratschläge” von Seiten der Familie und des Umfeldes tragen ihr übriges zur Verunsicherung der frisch gebackenen Mutter bei. Daher wünschen wir uns zukünftig Ihrerseits einen achtsamen Umgang mit solch sensiblen Themen.

 

Zum Artikel im Kind + Kegel Babymagazin

Kommentar schreiben

Kommentare: 0