Unsichere Rechtslage auf dem Spielplatz

Von Spielplatz-Rabauken und Erwachsenen als Ordnungshüter

Wer denkt, dass Spielplätze “rechtsfreie Räume” sind, in denen sich Kinder frei von elterlicher Einflussnahme bewegen und miteinander interagieren können, der irrt. Auch hier tritt der gemeine Erwachsene, meist in Form eines Elternteils oder der Großeltern, häufig regelnd und moralisierend in Erscheinung.

Es ist mittlerweile hinlänglich bekannt, dass Kinder erwachsenenfreie Zeit brauchen, um sowohl ihr Sozialverhalten als auch ihre motorischen Fähigkeiten testen und schulen zu können. Leider bekommen sie diese viel zu selten, oft nicht einmal auf dem Spielplatz.

Regelnde Erwachsene

Nicht selten sehe ich, dass Erwachsene selbst größere Kinder ab drei Jahre auf Schritt und Tritt über den Spielplatz begleiten, sich an der Rutsche postieren und gewissenhaft dafür sorgen, dass sich alle Kinder anstellen und niemand die Rutschfläche hochklettert anstatt sie runter zu rutschen. Oder sie klären kleinere Kinderbanden, die ein Spielgerät ausschließlich für sich beanspruchen, darüber auf, dass die Geräte allen gehören und folglich auch von allen benutzt werden dürfen. Wieder andere achten penibel darauf, dass an der Schaukel in regelmäßigen Zeitabständen gewechselt wird und jedes Kind einmal in das Vergnügen kommt, die Schaukel zu benutzen.

Ich beobachte sehr oft, dass Kinder derartige Konflikte gut untereinander klären, wenn sie Gelegenheit dazu bekommen. Genau in solchen Situationen können Kinder das beobachtete Sozialverhalten in der Praxis anwenden und verfeinern. Auf diese Art und Weise sammeln sie wichtige Erfahrungen. So wird beispielsweise die von Erwachsenen oft geforderte Geduld geschult, wenn ein Kind etwas länger warten muss, bis es schaukeln oder rutschen kann. Oder das Kind macht die Erfahrung, dass es größere und stärkere Kinder gibt, gegen die es sich entweder durchsetzen kann oder mit denen es sich arrangieren muss. Natürlich ist es für Eltern schwierig, das eigene Kind als “Verlierer” zu sehen, jedoch ist auch das Teil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und schult die Frustrationstoleranz unserer Kinder.

Moralisierende Erwachsene

Erwachsene greifen jedoch nicht nur regelnd in das Spielplatzgeschehen ein, sondern bewerten das Verhalten der Kinder auch anhand erwachsener Moralvorstellungen. So wird es nicht gern gesehen, wenn ein Kind an der Rutsche drängelt oder das Sandspielzeug eines anderen Kindes ungefragt benutzt. Dann wird das Kind auf sein “Fehlverhalten” hingewiesen und zur Regelkonformität aufgefordert. Dadurch moralisieren und problematisieren Erwachsene das altersgerechte Verhalten des Kindes.

Kinder sind bereit, soziale Regeln anzuerkennen und zu befolgen, denn sie wollen Teil der Gruppe sein. Wir als Eltern tragen Sorge dafür, dass unsere Kinder diese Regeln kennen lernen und in ihrem eigenen Tempo übernehmen können - ohne Belehrungen, Standpauken und moralische Bewertungen, sondern wertschätzend, liebevoll und achtsam.

Wer ist eigentlich im Recht?

Oft befinde ich mich angesichts der klassischen Spielplatzkonflikte selbst in einer Zwickmühle und scheue mich davor zu entscheiden, was richtig und was falsch ist. Wenn beispielsweise ein Kind auf einem Spielgerät sitzt und dieses für sich allein beansprucht, beruft es sich darauf, dass es zuerst da gewesen sei. Das wartende Kind seinerseits beruft sich darauf, dass der Spielplatz für alle da sei und man teilen müsse. Tja, für wen spreche ich mich jetzt aus? Welches Kind ist im Recht? Wobei “Recht” eine Denkkategorie Erwachsener ist. Kinder erwarten nicht, dass wir als Erwachsene Recht sprechen oder eine Lösung für ihre Konflikte finden. Wichtig an dieser Stelle ist, dass jedes Kind mit seinem Anliegen gehört wird. Denn ist es nicht vielmehr so, dass unsere Kinder empathische und liebevolle Eltern brauchen und nicht Richter, die über ihr Verhalten urteilen? In der Erwachsenenwelt treten Richter meist erst auf den Plan, wenn den Parteien über Kommunikation und Vermittlung keine Einigung gelungen ist. Diese Chance nehmen wir den Kindern, wenn wir uns zu früh einmischen. Wenn ich mich als Erwachsener in dieser Situation jedoch ganz entspannt zurücklehne, gebe ich den Raum für etwas ganz Tolles frei: Die Kinder kommen miteinander ins Gespräch und finden möglicherweise einen Ausweg, der mir selbst nie eingefallen wäre und mit dem beide zufrieden sind, weil dieser nicht von oben, sondern aus ihnen selbst heraus entstanden ist.

Spielplatz als Chillout-Zone für Erwachsene

Mein Vorschlag ist, dass auch Erwachsene die Zeit auf dem Spielplatz für sich selbst nutzen, ein Buch lesen, die Natur oder die eigenen Kinder beobachten und über deren Kompetenz staunen, sich zurücknehmen und vertrauen. Und doch bereit sind, wenn die Kinder sie um Hilfe bitten oder einfach nur gesehen werden möchten.

 

Katja Schill

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Kommentare: 1
  • #1

    Melanie (Mittwoch, 12 April 2017 09:12)

    Es wäre wirklich so schön und entspannend, wenn das alle so sehen würden! Ich für meinen Teil versuche, meinen Sohn machen zu lassen und möchte ihm die Chance geben, das meiste selbst zu klären. Und dann sind da noch einige andere Eltern, bei denen man einfach das Gefühl hat, man muss sich für das Verhalten seines Kindes rechtfertigen. Oder vielleicht kommt das Gefühl auch aus mir selbst? Vielleicht ist es meine eigene Erwartungshaltung, die dazu führt? Ich weiß es nicht. Spielplatzbesuche (vor allem die auf den großen Spielplätzen) bedeuten für mich immer Stress. Ich suche uns dann eher einen kleinen, ruhig gelegenen, womit ich meinem Kind aber wiederum die Chance nehme, in Konfliktsituationen zu kommen und diese zu lösen. Ein Dilemma!